Vor einigen Jahren noch stand das kleine Holzmarterl, neben der Bundesstraße nach Hermagor, alleine auf weiter Flur. Umgeben alleine von Feldern und der erwähnten Straße. Heute muss man schon genau hinschauen, um es zu entdecken. Die planlose Ausbreitung der Bezirkshauptstadt Hermagor, der gierige Landfraß im Umland der kleinen Stadt, lässt die fruchtbaren Felder verschwinden. Das Marterl steht heute im „Gewerbepark“ vor Hermagor. Die wenigsten wissen, dass dieses Kreuz am literarischen Anfang der Karriere von Ingeborg Bachmann steht, deshalb wollen wir es uns heute genauer ansehen.
Die Rede ist vom „Honditschkreuz“ im „Burgermoos“ zwischen Obervellach und Hermagor. Unweit davon verbrachte Ingeborg Bachmann die Schulferien ihrer Kindheit und die letzten Monate des zweiten Weltkrieges und der NS-Herrschaft. Ihr Vater, dessen Geschichte und Rolle im NS bis heute mysteriös bleiben, stammte von hier. Kurz vor Ingeborgs Geburt zogen er und seine Frau nach Klagenfurt. Bei Hermagor aber spielt die erste Erzählung der jungen Ingeborg Bachmann, mit dem Titel „Das Honditschkreuz“, im Jahr 1944 verfasst. Schauplatz ist der damalige Marktflecken Hermagor im Jahre 1813, als die Region zur französischen illyrischen Provinz gehörte. Hauptprotagonist ist der junge Theologie Student Franz Brandstetter. Nach drei Jahren Studium in Wien hat er es endlich wieder in die Heimat geschafft. Es sollte sein letzter Besuch sein und auch nach Wien sollte er nicht mehr zurückkehren, denn bei einem tragischen Zwischenfall nach den Kämpfen zwischen Franzosen und Österreichern, kommt Franz ums Leben, ebenso sein französischer Kontrahent. Beide wurden Opfer des grassierenden Nationalismus. An eben dieser Stelle, auf dem Grund des Honditsch-Bauern, so die Erzählung, wurde dann das Honditschkreuz errichtet.
Tatsächlich finden sich einige reale Personen in Ingeborg Bachmanns erster „Novelle“, die ihr Talent und ihren zukünftigen Weg schon erahnen lässt. Den Honditschbauern gab und gibt es wirklich, ebenso den damaligen Hermagorer Bürgermeister Unterberger und den damaligen Pfarrer. Real war für Ingeborg aber auch die schwere Zeit, welche sie in Hermagor erlebte, als die letzten Monate des NS-Regimes anbrachen. Nach der Befreiung macht sie sich in ihren „Kriegstagebüchern“ lustig über die vielen Gailtaler Nazis, die nun alle im Widerstand gewesen sein wollen und sich gegenseitig anzeigten, in der Hoffnung, so ungeschoren davonzukommen.
Ihren inneren Gegenstandpunkt zum Nationalsozialismus kehrte sie bald nach außen, was nicht nur in Hermagor, sondern auch in der eigenen Familie für Entsetzen sorgte. Sie verbrachte intensive Tage mit dem österreichisch-britischen Soldat jüdischer Abstammung Jack Hamesh. Dieser konnte nach dem „Anschluss“ Österreichs an Hitler Deutschland, gerade so sein Leben retten und schloss sich als Freiwilliger der Britischen Armee an. 1945 war er als Übersetzer im befreiten Hermagor tätig. In der Bezirkshauptstadt hatte man den einzigen jüdischen Laden 1938 geplündert („arisiert“) und die Besitzer (Familie Braun) vertrieben. 1944 hatten Hermagorer Nazis den hochangesehen Arzt Albert Menninger-Lerchenthal auf der Radniger Alm ermordet. Nichts erinnert an diese NS-Opfer und nun lief eine junge Ingeborg Bachmann mit einem jüdischen „Besatzer“ stolz durch den Ort. Das war für die von Antisemitismus durchtränkte Hermagorer Bevölkerung kaum zu ertragen.
Ingeborg Bachmann aber hat es gefallen. Sie war frei. In ihrem Kriegstagebuch schreibt die damals knapp 18-Jährige: „So ist das also. Alle reden über mich, und natürlich auch die ganze Verwandtschaft. ‚Sie geht mit einem Juden‘. Und die Mutti ist natürlich ganz nervös wegen dem ganzen Tratsch,und sie kanns ja gar nicht verstehen, was für mich alles bedeutet! (…) Und ich habe zu ihr gesagt, ich werde mit ihm zehnmal auf und ab durch Vellach und durch Hermagor gehen und wenn alles Kopf steht, jetzt erst recht. Das ist der schönste Sommer meines Lebens, und wenn ich hundert Jahre alt werde – das wird der schönste Frühling und Sommer bleiben.“